Tief im Twimbergergraben erhebt sich auf einem Felsstock die Burg Waldenstein. Heute streichen Eulen durch die Gänge, und im Innenhof wächst ein kleiner Wald. Verlassen sind die großen Säle. In der alten Kanzlei fällt der Regen durch die zerbrochenen Fenster auf Bücher und Akten. Düsternis hat sich über die Burg gelegt.
Früher lebten hier die Herren von Ungnad, und wie ihr Name schon sagt, waren sie harte und oft brutale Gesellen. Sie erbauten diese Burg, und ihnen folgten andere, ebenso unfreundliche Ritter nach.
Einer von ihnen, er lebte im 17. Jahrhundert auf Burg Waldenstein, heiratete eine wunderschöne und um viele Jahre jüngere Frau. Viel zu lachen hatte die Frau nicht. Auf Burg Waldenstein wurden keine Feste gefeiert, und auch die großen, barocken Empfänge auf Schloss Wolfsberg durfte sie nicht besuchen. Das war alles nur Tand und verschwendete Zeit in den Augen des Herrn von Waldenstein. Seine Leidenschaft galt der Jagd. Jede Stunde, die er sich von seinen Geschäften lösen konnte, verbrachte er in den Wäldern. Ob Tag oder Nacht, Sommer oder Winter, wann immer es ging, stellte er den Rehen und Wildschweinen nach, lag im Dickicht auf der Lauer und schoss auf Wölfe und Hirsche.
Als der Cousin der Burgherrin, der Kornett Eckhart von Peckern, zu Besuch kam, lud ihn der Ritter von Waldenstein natürlich zur Jagd ein. Ein Mann musste einfach Freude daran haben, ein paar
Hasen oder Rehe zu schießen. Was konnte ein Mann denn sonst wollen?
Kornett Eckhart von Peckern war kein großer Jäger. Es machte ihm keinen Spaß, auf Tiere zu schießen, aber er wollte seinen Gastgeber nicht verärgern, und deshalb nahm er die Jagdeinladung an. Doch als er sah, wie grausam und brutal der Ritter die Tiere erlegte, suchte er schon am nächsten Tag eine Ausrede, um nicht mehr mit in den Wald reiten zu müssen. Zunächst dachte sich der Ritter wenig dabei. Wird halt ein Schwächling sein, dieser Kornett, ein Stubenhocker und Tintenkleckser.
So machte sich der Ritter alleine auf den Weg, und bei der Jagd vergaß er seinen Gast beinahe. Die nächsten Tage und Wochen blieb der Kornett bei seiner Cousine in der Burg, und ein aufmerksamer Beobachter konnte sehen, wie die junge Frau aufblühte, wie sie lachte und scherzte. Dem Ritter entging diese Veränderung nicht, und was er da sah, machte ihn eifersüchtig. Über seine Witze lachte sie nie, ihn sah sie niemals so an, und es war doch sehr verdächtig, wie sie seine Hand hielt.
Hinter dieser Vertrautheit vermutete der Ritter mehr. Er glaubte, seine Frau hätte sich in den Kornett verliebt. Das konnte er sich nicht gefallen lassen.
In Wahrheit freute sich die junge Frau nur, endlich einen Gesprächspartner gefunden zu haben, der sich in der Welt ein wenig auskannte, der ihr Neuigkeiten aus den großen Städten erzählte und nicht immer nur von so langweiligen Dingen wie der Jagd sprach. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie den Kornett für immer bei sich behalten.
Der Ritter von Waldenstein heckte einen Plan aus. Mit viel Geschick und sanftem Druck überredete er den Kornett zu einem weiteren Jagdausflug. „Die Herbstjagd ist eine große Sache“, sagte er. Da dürfe niemand fehlen, und so ließ auch der Kornett sein Pferd satteln, und sie ritten gemeinsam davon.
Zurück allerdings kam der Ritter von Waldenstein ohne den Kornett. „Es waren Räuber“, sagte der Ritter. „Wir konnten gar nichts machen. Sie haben den armen Kornett entführt und uns niedergeschlagen.“
Die junge Frau weinte und betete. Sie hoffte, die Räuber würden eine Lösegeldforderung stellen oder der Kornett könnte sich befreien und würde wieder zu ihr zurückkehren. Dabei befand sich der Kornett Eckhart von Peckern die ganze Zeit kaum fünfzig Meter von ihr entfernt. Es gab keine Räuber, und Überfall hatte es auch keinen gegeben. Der Ritter von Waldenstein selbst hatte den Kornett gefangen setzen und ins Burgverlies sperren lassen. Hinter acht Meter dicken Mauern saß der Kornett nun und verhungerte.
Erst viele hundert Jahre später entdeckte man das Gerippe des Kornetts. Er hatte sich einen Finger abgebissen und mit dem Blut folgenden Spruch an die Wand geschrieben:
Richter richte recht,
denn du bist Herr und ich bin Knecht.
Wie du hast gerichtet mich,
so soll Gott richten dich.
Kornett Peter Eckhart von Peckern 1669